07.10.2000
Wittlaer und die Treidelschiffahrt
Mit
Muskelkraft und Pferdestärken rheinaufwärts
Gelbe Schilder mit der
Aufschrift „Vorsicht Einsturzgefahr - Abstützung nicht berühren!"
sollen den Spaziergänger zur Vorsicht mahnen, wenn er auf dem Wege zwischen
Kaiserswerth und Wittlaer an jenem Haus vorübergeht, dessen Eigentümer es
gerne abreißen wollte. Haus Werth heißt der ehemalige Hof, der seit 1927 den
Stadtwerken Duisburg gehört. Bis 1956 war das Haus noch bewohnt, dann aber
liegen die wasserrechtlichen Bestimmungen keine private Nutzung mehr zu. Die
Gefahr, das Brunnengelände könnte durch Fäkalien verunreinigt werden, schien
den Verantwortlichen zu groß zu sein. In den letzten Jahren ist der Verfall des
Hauses rapide fortgeschritten.
Warum ist eigentlich dieses Gebäude
erhaltenswert? Sollte man es nicht lieber abreißen? Schlägt nicht die
Nostalgiewelle zu hohe Wogen? Haus Werth, seltener auch Werther Hof oder
Wardshof genannt, nimmt eine Sonderstellung ein: Lange Zeit war es aufs engste
mit der Rheinschiffahrt verbunden. Als eine der letzten Treidelstationen
am Niederrhein geht es nun einer ungewissen Zukunft entgegen.
Vor der Erfindung der
Dampfmaschine waren die Rheinschiffer auf die Kraft des Windes, der Pferde und
ihre eigene Muskelkraft angewiesen, wenn sie sich gegenüber dem Strom
durchsetzen wollten. Die Ursprünge der Treidelschiffahrt auf dem Rhein liegen
bei den Römern. Als sie vor 2000 Jahren die rheinischen Gebiete besetzten,
brachten sie auch ihre Erfahrungen im Bereich der Schiffahrt mit. Die Größe
ihrer Schiffe hat sicher bei den Germanen Erstaunen hervorgerufen. Die Größe
brachte aber auch besondere Probleme mit sich. Solange sie rheinabwärts fuhren,
konnten sie sich mit der Strömung treiben lassen und bei günstigem Wind zusätzlich
die Segel setzen. Rheinaufwärts jedoch konnte die Kraft des hier überwiegend
vorherrschenden West‑ und Südwestwindes nur wenig genutzt werden. Das
Rudern gegen die Strömung war bei den großen Frachtschiffen kaum möglich. Nur
eine Methode führte zum Erfolg: Das Schiff wurde von Land aus an einem Seil
stromaufwärts gezogen. Das nannten die Römer „tragulare", und unsere
Vorfahren formten daraus das Wort "Treideln". Damit das Zugseil weder
den Uferboden noch das Wasser berührte, wurde es hoch am Mast des Schiffes
befestigt. So konnten auch kleinere Hindernisse wie Sträucher und Bodenwellen
ohne Schwierigkeiten überwunden werden. Eine große Anzahl Sklaven zog mühsam
die Schiffe gegen den Strom. Die Ufer waren nicht befestigt und stellten
besonders harte Anforderungen an die Männer. Es war auch nicht außergewöhnlich,
daß kleine Wasserarme und Buchten durchquert werden mußten. Der
Treidelmannschaft stand dann das Wasser buchstäblich bis zum Hals. Sicherlich
hat diese harte Arbeit die Lebenserwartung der Männer deutlich herabgesetzt.
Druck
der Konkurrenz
Ein wesentlicher Fortschritt für
die Treidelschiffahrt war der Einsatz
von Pferden. Ein Pferd konnte vier Menschen ersetzen. Nun war aber die Anlage
von Uferpfaden, den sogenannten Leinpfaden, notwendig. Die schweren
Kaltblutpferde wären sonst im Morast versunken. Die Aufgabe der Treidelknechte
bestand nun darin, die Pferde zu führen und anzutreiben, weshalb sie den Namen
Päädsdriewer erhielten. Sie waren auch für die Sicherheit der Pferde
verantwortlich. Es kam nämlich vor, daß ein Schiff bei schwierigen Strömungsverhältnissen
oder durch Unachtsamkeit des Steuermannes vom Ufer zur Strommitte getrieben
werden konnte. Die Kraft der Pferde reichte dann nicht immer aus, um das Schiff
zurückzuholen. Die Päädsdriewer mußten die kritische Situation erkennen und
das Seil kappen. Verpaßten sie den richtigen Augenblick, wurden die Pferde ins
Wasser gezogen und drohten zu ertrinken.
Die Halfterer, wie die Päädsdriewer
auch genannt wurden, und ihre Pferde mußten auf ihrem langen und mühsamen Weg
versorgt werden. Diese Aufgabe übernahmen meist dicht am Rhein gelegene Höfe.
Sie nannte man Treidelstationen. Haus Werth ist uns aus dieser Zeit erhalten
geblieben. In Bockum gab es ebenfalls eine Treidelstation: das Wimmersgut oder
auch Haus Hahn genannt. Das Gut existiert heute nicht mehr. Am Giebel des Hauses
war ein Anker befestigt. Eine Tür zur Rheinseite diente den Halfterern als
Eingang. Er wurde gegen Ende des vorigen Jahrhunderts zugemauert. Der mündlichen
Überlieferung zufolge gab es in Wittlaer noch eine weitere Treidelstation. Als
das Werth tatsächlich noch eine Insel und das sogenannte Binnenwasser ein
breiter Rheinarm war, wurde auch hier getreidelt. Am heutigen Max-Clarenbach-Weg
in der Nähe der B 8 stand ein kleiner Hof, Kalwey genannt. Er soll den
Treidelschiffern als Proviantstation gedient haben. In der 2. Hälfte des 18.
Jahrhunderts wurde der Rheinarm bei Kaiserswerth gesperrt. Damit hatte auch die
Kalwey als Treidelstation ausgedient.
Die Treidelschiffer hatten meist
ihre eigenen Pferde, die das Schiff die gesamte Strecke zogen. Die Fahrt ging
recht langsam voran. Als im vorigen Jahrhundert die ersten, wesentlich
schnelleren Dampfschiffe auf dem Rhein erschienen, mußten sich die
Treidelschiffer unter dem Druck der Konkurrenz etwas Neues einfallen lassen. Die
vorerst rettende Idee kam von den Holländern. Die Treidelstationen erhielten
nun die Aufgabe, stets ausgeruhte Pferde bereitzustellen, die gegen die ermüdeten
ausgewechselt werden konnten. Durch diese sog. Pferderelaisstationen gelang die
Fahrt fast doppelt so schnell wie vorher. Der Weg der Pferdetreiber war genau
festgelegt. In Uerdingen wechselten sie von der linken zur rechten Rheinseite über.
Von Mündelheim kommend zogen sie an Rheinheim, Bockum, Wittlaer und
Kaiserswerth vorbei. An der Schnellenburg wurden Pferde und Mannschaft wieder übergesetzt.
Die Päädsdriewer gerieten immer wieder in Konflikt mit der jeweiligen
Landesregierung. Im Jahr 1803 gab der Kurfürst Maximilian bekannt: „Der Churfürstlichen
Landes-Direktion ist die Anzeige geschehen, daß theils durch die Fahrlässigkeit,
theils durch mutwilliges Verschulden der Führer der Schiffspferde, indem sie
bey der Hinauffahrt die Schiffsseile über die jungen Pflanzungen längst dem
Strom herstreifen lassen, oder sich auch ein Vergnügen daraus machen, durch
muthwilliges Schwingen derselben die neugepflanzten Weidenstöcke auszuheben,
und in die Höhe zu schleudern, an den Deckungswerken der Ufer oft großer
Schaden verübt wird. Da es nun die Pflicht der Schiffsherrn ist, auf die
Excesse ihrer Eigener sowohl, als der gemietheten Leute zu achten, so werden
dieselben für jeden auf diese Weise geschehenen Schaden, mit Verpflichtung zu
dem dreyfachen Ersatze, wovon ein Drittheil dem Angeber zuerkannt wird,
verantwortlich gemachet, und von diesem Beschlusse hiermit durch den offenen
Druck in Kenntnis gesetzet." 1837 und 1850 wurden diese Bekanntmachungen
„erneuert". Bei der letzteren wird ausdrücklich das „Einsetzen von
Schiffsankern in die Strom‑ und Uferbauwerke“ verboten.
Für die Beseitigung eines
weiteren Mißstandes sollte die Verordnung der Königl. Regierung aus dem Jahre
1836 sorgen. Darin heißt es: „Die in jüngster Zeit häufig vorkommenden
Unglücksfälle durch Versinken überladener Ruhrkohlenschiffe veranlaßten,
daß von nun an jedes beladene Ruhrkohlenschiff außer dem Windbord zum
wenigsten drei Zoll Gebörde haben muß."
Streit
am Binnenwasser
An der heutigen Schwarzbachmündung
stellte sich den Treidelschiffern ein Hindernis besonderer Art entgegen. Hier mußte
der alte Rheinarm, das sogenannte Binnenwasser, überquert werden. Aus diesem
Grund war an dieser Stelle ein Fährverkehr eingerichtet. Aus dem Jahre 1804 ist
ein heftiger Streit um diese Fähre aktenkundig. Es liegt eine „Beschwerde der
Rheinschiffer über die so nachlässig betrieben werdenden Überfahrten an dem
dasigen Cameral Wittlaerer Werde" vor. Die Beschwerde gipfelte darin, „daß
die Pferdetreiber ihre Pferde selber aus Mangel eines Fährmannes überfahren
und dabei ein erhöhtes Fahrgeld zahlen mußten." Dieser Vorwurf einer
Selbstbedienung zu erhöhten Preisen wird noch ergänzt durch die Beschuldigung,
daß „das Binnenwasser zugedämmt und eine Art Brücke angelegt worden (ist),
wodurch das Binnenwasser gesperrt, welches bei Eis und hohem Wasser den Schiffen
und Kohlenachen zum Hafen diente." Ein Kohlenschiff hatte sich in diesen
Hafen geflüchtet, konnte aber wegen dieser Art Brücke nicht wieder
herausfahren, wodurch „Aufenthalt und Kosten verursacht" wurden.
Wenige Tage später wurde der
Beschuldigte in Kaiserswerth vorgeladen und vernommen. Er hieß Waldbröhl und
hatte erst vor einem halben Jahr eine der Pächterinnen von Haus Werth, die für
den Fährbetrieb zuständig waren, geheiratet. Er versuchte sich zu
rechtfertigen, indem er aussagte: „... niemals hätte ein Schiffer selbst
brauchen überzufahren und niemand würde beweisen können, daß je ein Heller Fährgeld,
auch bei hohem Wasser, über die gehörige gewöhnliche Gebühr genommen worden
sei, die angegebene Zudämmung des Binnenwassers sei ebenfalls unwahr, jeder des
Lokalen dort kundige Nachbar würde unparteiisch gestehen müssen, daß die
angelegte Art von Brücke unumgänglich nötig sei, ansonsten die Schiffspferde
bei kleinem Wasser durch den Mott zu dem in dem Wasserstrauch liegenden Nachen hätte
kommen können. Der Schiffer des Kohlennachens sei bei hohem Wasser ins
Binnenwasser gefahren und durch Unvorsichtigkeit abends auf die Auflandung
gekommen. Als ihm morgens der Strand gezeigt (worden sei), sei er auch ohne
Hindernis der Brücke herausgefahren, ohne die mindesten Kosten zu haben, wie
der Schiffer ja selbst ausgesagt. Schließlich sagte der Waldbröhl, daß ihn
solche Verleumdungen schmerzten, die der zit. von Otten (Bürgermeister von
Kaiserswerth) nicht so gegen ihn, als gegen die Pächterinnen des Werths hegte,
und seinen Haß in allen Fällen dagegen bücken ließe."
In zahlreichen Berichten wird
nun versucht, die Wahrheit herauszufinden. In einem davon mit der Anrede
„Durchlauchtigster Herzog, gnädigster Herr" erfahren wir auch etwas über
das Fahrgeld und die Größe der Fähre. Der Kaiserswerther Bürgermeister von
Otten schreibt im Januar 1805: „In meinen ersten Dienstjahren wurden dort vom
Pferd nur zwei Stüber Fahrgeld gezahlt, und die Überfahrt geschah mit einem
Nachen, welcher drei Pferde hielt. Der damalige Pächter entschloß sich, einen
größeren Nachen zur geschwinderen Überfuhr der Schiffspferde anzuschaffen,
wodurch das Fahrgeld um einen Stüber erhöht werden sollte. Dies bewilligte die
Hofkammer. Aber nun seit einigen Jahren werden allgemein willkürlich vom Pferde
4 Stüber, mithin einer zuviel, genommen." Das erhöhte Fahrgeld wurde mit
der allgemeinen Teuerung begründet, die es offensichtlich auch schon damals
gegeben hatte. Herr Waldbröhl wies darauf hin, es „sei der eine Stüber mehr,
dermalen die Leute und Geschirr zu unterhalten viel teurer geworden, nicht
zuviel". Außerdem äußerte er, daß die ganze Beschwerde der
Treidelschiffer „bloße Schikanen"
seien. Der Streit verlief schließlich im Sande. Der letzte Bericht schloß mit
der Bemerkung, es „mag gegenwärtige Sache auf sich beruhen". Noch einmal
hören wir etwas von der Fähre im Jahre 1841. Sie sollte neu verpachtet werden,
wahrscheinlich das letzte Mal. Die Verlandung des Binnenwassers machte eine Fähre
bald überflüssig. Eine Brücke schuf eine Verbindung zwischen Wittlaer und dem
Werth.
Schüsse
auf Dampfschiffe
Zu Beginn des vorigen
Jahrhunderts deutete sich auf dem Rhein eine technische Revolution an: 1816 fuhr
das erste Dampfschiff von Rotterdam rheinaufwärts bis Köln. Die Kölnische
Zeitung berichtete damals: „Ein ziemlich großes Schiff, ohne Mast, Segel und
Ruder, kam mit ungemeiner Schnelligkeit den Rhein heraufgefahren. Die Ufer des
Rheines, die hier vor Anker liegenden Schiffe waren in einem Augenblick von der
herbeiströmenden Volksmenge bedeckt." Und weiter: „jedermann wollte den
inneren Bau dieses Wunderschiffes und die Kräfte erforschen, welche dasselbe in
Bewegung setzen." Ein Jahr später folgte der Dampfer „Caledonia",
der bereits bis Koblenz fuhr. 1824 fand eine Erprobungsfahrt mit dem Dampfschiff
„Seeländer" statt. Ein Augenzeuge berichtete: „Unsere Fahrt glich
einem Triumphzug. Es war ein wahrer Freudenzug. Überall kamen die Einwohner,
jung und alt, an das Ufer und staunten das wunderbar einherrauschende Mühlenschiff
an, welches bei einer der größten Überschwemmungen, wo kein Schiff mit
Pferden gezogen werden kann, seinen Weg durch die mächtigen Wasserwogen ruhig
fortsetzte. Alte Weiber schlugen die Hände über dem Kopf zusammen, andere
legten sie wie zum Gebet ineinander, Kinder jauchzten, Männer schwenkten die Mützen
und Hüte, und oft brach die ganze Volksmasse in ein lautes Hurra aus, welches
von der Schiffsgesellschaft erwidert wurde."
Die euphorische Stimmung beim
Anblick der „schwimmenden Mühlen" wurde nicht von den Treidelschiffern
geteilt. Sie fühlten sich in ihrer Existenz bedroht. Denn es war nur eine Frage
der Zeit, wann die Dampfschiffe auch den Gütertransport übernahmen. So wurden
zahlreiche Versuche unternommen, das drohende Unheil abzuwenden. Mit Hilfe der
bereits erwähnten Pferderelaisstationen konnte die Treidelschiffahrt wesentlich
beschleunigt werden. Transporte von Rotterdam bis Köln konnten nun in 5 bis 6
Tagen, statt der bisher üblichen 14 Tage, durchgeführt werden. Einige
Gutachten und Eingaben sollten die Dampfschiffahrt auf dem Rhein für untauglich
erklären. Unfälle von Dampfschiffen wie Maschinenbruch, Kesselschäden oder
Auffahren auf Hindernisse unter Wasser wurden immens aufgebauscht. Insgesamt
zeigten die Treidelschiffer keinerlei Neigung, sich mit der neuen Erfindung
anzufreunden.
Die Zahl der Dampfschiffe stieg
ziemlich schnell. 1843 wurden an der Hammer Fähre 239 Dampfer gezählt, 1847
waren es bereits 2556. Im gleichen Zeitraum ging die Zahl der gezählten
Treidelpferde von 14 384 auf 9 372 zurück. Der Konkurrenzdruck wurde für die
Treidelschiffer immer größer. In dieser Situation hatten die Regierungen eine
nicht leichte Aufgabe zu erfüllen. Sie mußten einerseits ein soziales Elend
der Halfterer und Schiffer verhindern, andererseits konnten und wollten sie eine
erfolgversprechende technische Entwicklung nicht aufhalten.
Im Revolutionsjahr 1848 nutzten
die Treidelschiffer die allgemeine Unruhe auf ihre Weise: An verschiedenen
Rheinorten kam es zu Aufständen gegen die Dampfschiffe. Ein Augenzeuge
berichtete aus der Nähe von Neuwied: „Auf dem Weg rheinaufwärts sah er zu
Irlich einen
Schleppdampfer mit Anhang kommen und zwar „Matthias Stinnes 1“.
Nach kurzer Wanderung hörte
er mehrere Schüsse fallen und sah, wie viele Leute aus den Häusern kamen und
voller Hast aus Straßen und Gassen dem Rhein zueilten... Die Bauern oder
Pferdetreiber vom gegenüberliegenden Dorf Weißenturm spürten, daß ihre ganze
Existenz durch diese Schleppkonkurrenz bald zusammenfallen würde. Deshalb
wollten sie jetzt als Selbsthilfe noch ein letztes Mittel erproben. Sie hatten nämlich
am unteren Teil auf dem Neuwieder Werth verschiedene Katzenköpfe und Böller
aufgestellt und waren nun dabei, gar gewaltig zu schießen, als der
Schleppdampfer unten am Schloßgarten ankam.
Wenn
ich nicht irre, gab es auch Gewehrschüsse. Die Schlepperbesatzung war aber
offensichtlich vorgewarnt worden. „Denn der Ruderstuhl des Dampfers war ganz
dicht mit alten eisernen Platten und Wielplanken bis weit über Manneshöhe
verbarrikadiert worden und zugemacht, nur nach vorne war eine Öffnung zum
Ausblick für den Steuermann frei gelassen. Als nun das Boot immer näher an
den gefährlichen Schießstand herankam, wurde das Knallen erst recht ohrenbetäubend.
Man sah und hörte nichts mehr wie Knall und Pulverrauch, und trotzdem fuhr der
ganze Schleppzug ruhig vorbei und die Halfterer hatten das Nachsehen." Am
folgenden Tag rückten Soldaten in Weißenturm ein und machten überall dort
Quartier, „wo ein Pferdestall vorhanden war".
In der Bürgermeisterei
Kaiserswerth schien alles ruhig zu sein. Bürgermeister Rottlaender hatte gerade
seinen Bericht an die Regierung fertiggestellt, „daß in meinem Amtsbereiche
bisher keine Exzesse gegen Personen oder Eigentum vorgekommen sind". Da
wurde ihm ein "Polizei-Rapport" auf den Tisch gelegt: „Die Angriffe
auf die Schlepp-Dampfschiffe haben sich auch in hiesiger Gegend kundgegeben.
Gestern (19. April 1848) gegen Mittag nämlich passierte ein Schlepp-Dampfschiff
der Düsseldorfer Gesellschaft bei Kaiserswerth vorbei, als dort plötzlich 7
Gewehrschüsse nach demselben gerichtet abgefeuert wurden. Zwei Kugeln drangen
in das angehängte Segelschiff ..., während eine andere über den Kopf eines
auf diesem Schiff befindlichen Knechtes flog, der sich in dem Augenblicke, als
er Gefahr für sich ahnte, niedergebückt hatte. Überhaupt wurden 4 Schuß auf
dieses Schiff abgefeuert, dasselbe hatte Salz geladen." Der Bürgermeister
ergänzte diesen Bericht damit, daß„die Täter verhaftet sind. Dieselben
sollen übrigens durch einen durchgereisten oberländischen Flößer zur Tat
gereizt worden sein". Die Täter saßen mehrere Monate im Gefängnis, als
sie im September von der Anklage freigesprochen wurden. Als einziger Schaden war
eine unbedeutende Schramme am Dampfschiff festgestellt worden.
Nachdem sich die Dampfschiffahrt
endgültig durchgesetzt hatte, mußte eine Aufgabe begonnen werden, die viele
Jahrzehnte in Anspruch nahm: die Regulierung des Rheins. Die zahlreichen
Untiefen und Sandbänke waren für die immer größer werdenden Dampfschiffe
Hindernis und Gefahr. In Höhe der Schwarzbachmündung mitten im Rhein lag der
„Wittlaer Grund", eine riesige Sand‑ und Kiesbank, die den Strom in
zwei Arme teilte. Im Jahre 1880 wurde mit der Beseitigung des Wittlaerer Grunds
begonnen.
Sieg
der Spaziergänger
Die 80er Jahre brachten das Ende
der Treidelschiffahrt. Damit verloren auch die Treidelstationen ihre Funktion.
Auf den Leinpfaden traf man in zunehmendem Maße „Spaziergänger, Ausflügler
und Passagiere von Dampfbooten". Gegen diese Entwicklung wehrte sich der
damalige Eigentümer des Wittlaer Werths, Friedhelm Haniel. Er ließ an allen
Zugängen zum Werth Verbotsschilder aufstellen. Durch diese Maßnahme kam es zu
einem Konflikt mit der Wegepolizeibehörde. Sie forderte Haniel im April 1910
auf, innerhalb von 14 Tagen die Schilder wieder zu entfernen. Der Leinpfad sei
schließlich immer öffentlicher Weg gewesen.
Haniel legte Widerspruch ein.
Angeblich sei damals festgelegt worden, „die über dem Schwarzbach befindfiche
Fähre nur zum Übersetzen der Schiffspferde und deren Führer benutzen zu
lassen und keinem anderen Passanten die Passage zu gestatten. Die Konsequenz
hiervon dürfte sein, daß auch der Leinpfad von keinem anderen Passanten
benutzt werden darf." Beide Parteien ließen Zeugen aussagen. Für die
Wegepolizeibehörde sagte am 14. Juli 1911 der Wirt Josef Brand aus: „Ich bin
am 25.1.1845 zu Bockum geboren und seit 1875 Besitzer der Wirtschaft „Zum
Eulenspiegel", die ich heute noch führe. Das Schiff legt täglich von
Mitte April bis 1. Oktober jeden Jahres mehrfach hier an und bringt große
Mengen Publikum, das dann vielfach den Weg am Rhein entlang nach Kaiserswerth
benutzt, den alten Leinpfad. Auch umgekehrt wird der Weg sehr viel von den per
Schiff in Kaiserswerth ankommenden Personen benutzt. Mein Gedächtnis reicht bis
in die früheste Kindheit zurück. Niemals habe ich auch nur ein Wort oder einen
Umstand wahrgenommen, der darauf hätte schließen lassen, daß der hier in Rede
stehende streitige Weg Privatbesitz sei. Vielmehr ist derselbe seit
Menschengedenken - und dies haben meine ältesten Bekannten bezeugen können -
stets ungestört und uneingeschränkt von jedermann benutzt worden als öffentlicher
Weg..." Auch der 86jährige Ackerer und Metzger Adolf Ricken aus Bockum,
„vollständig geistesfrisch und im Besitze eines guten Erinnerungsvermögens",
konnte bestätigen, "daß der streitige Weg ein öffentlicher stets gewesen
ist". Der Streit dauerte noch längere Zeit, ist aber dann zugunsten der
Spaziergänger, Ausflügler und Erholungssuchenden entschieden worden.
Viele Jahrzehnte sind
mittlerweile ins Land gezogen. Wieder einmal rückt die Treidelschiffahrt in das
Bewußtsein der Öffentlichkeit. Es geht um die Erhaltung des Hauses Werth,
einer der letzten ehemaligen Treidelstationen am Niederrhein. Eine Restaurierung
von Seiten der Stadtwerke Duisburg ist inzwischen glücklicherweise zugesichert
worden. Ein weiterer Zeuge aus der Zeit der Treidelschiffahrt steht etwas weiter
auf Wittlaer zu: Eine Vierecksäule. Auf ihr sind unter anderem Entfernungen bis
Basel, Rotterdam und der Landesgrenze angegeben. Dieser Stein soll demnächst
vom Landeskonservator restauriert werden.
Treidelschiffahrt wurde auch auf
anderen Flüssen und Strömen praktiziert, nicht selten sogar wesentlich länger
als auf dem Rhein. Auf der Wolga wurden die Schiffe noch bis etwa zu Beginn des
Ersten Weltkrieges getreidelt, in China auf dem Jangtse bis in die 50er Jahre,
und im Nil-Delta soll das Treideln sogar heute noch üblich sein.
Bruno
Bauer