St. Remigius in Wittlaer

Kirche

St. Remigius in Wittlaer

 

In der Einleitung des 1894 erschienenen Bandes "Die Kunstdenkmäler der Stadt und des Kreises Düsseldorf" zählt der Altmeister der deutschen Kunstgeschichte Paul Clemen die im Umland von Düsseldorf liegenden romanischen Kirchbauten von Bilk, Erkrath, Himmelgeist, Hubbelrath, Itter, Kalkum, Mündelheim und Wittlaer auf, wobei er zu Recht auf die kunstgeschichtlich bedeutenderen Großbauten von Gerresheim, Kaiserswerth und Hilden hinweist.

Bei allen kleineren Sakralbauten handelt es sich um ansehnliche Dorfkirchen, die ihrer Kunstsprache nach in die hochromanische Baukunst, in die Kunst im staufischen Zeitalter, gehören. Die Heiligen Remigius (Wittlaer), Lambertus (Kalkum) und Dionysius (Mündelheim) zählen zum fränkischen Patrozinienkreis, was auf eine fränkische Besiedlung durch die Verbreitung westfränkischer Heiligenkulte hinweist. Alle romanischen Dorfkirchen rund um Düsseldorf zeigen trotz unterschiedlicher Details eine innere Verwandtschaft. Es handelt sich um dreischiffige, spätromanische Pfeilerbasiliken aus Tuffstein, der mit dem Schiff aus der Eitel an die Baustellen gelangte. Er diente als Verblendung des Bauwerks, während im übrigen Grauwacke als Baumaterial diente (in Wittlaer).

Kruzifixus

Kruzifixus auf Tabernakel von Ewald Matare

 

Die Kirche in Wittlaer hat eine unvergleichlich schöne Lage. Aus der Rheinaue steigt man auf Stufen zu ihr hinauf. Auch von der Kalkstraße her gewährt sie auf einem leicht ansteigenden Hügel einen schönen Anblick, weil sich Apsis, Chor- und Langhaus sowie der nur geringfügig eingezogene Westturm stufenmäßig aufbauen. Als der niederländische Glasmaler Jan Thorn-Prikker diese Kirche nach 1920 zum ersten Male sah, soll er ehrfürchtig den Hut gezogen haben, um damit den unbekannten, mittelalterlichen Baumeister zu ehren.

In einer Urkunde König Konrads III. aus dem Jahre 1144 wird die Kirche als Besitz des Frauenstifts Vilich in Bonn-Beuel ausgewiesen. Dieses Saft könnte auch als Gründerin der Pfarrkirche genannt werden, die aus einer Eigenkirche auf dem Wittlaerer Hof entstanden sein dürfte. 1292 wurde sie dem Stift Vilich inkorporiert, das auch den Pfarrer be-stellte.

Es handelt sich um eine dreischiffige, flachgedeckte Pfeilerbasilika mit vorgelagertem Westturm, wobei die Seitenschiffe, möglicherweise erst später entstanden, bis etwa zurMitte des Turmes vorgezogen sind. Das Chorquadrat ist von gleicher Breite wie der Turm, die halbrunde Apsis ist ein wenig eingezogen. Die zeitliche Einordnung ist etwas schwierig, weil die Kirche vermutlich als verhältnismäßig breite Saalkirche mit niedrigem Turm, ohne Chorhaus, Apsis und Seitenschiffen entstanden sein könnte. Man kann als Erbauungszeit die 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts bis zum beginnenden 13. Jahrhundert ansetzen. Der viergeschossige Turm ist in den beiden unteren Geschossen ungegliedert, das schlichte Portal wurde 1952 nach einem Entwurf der Düsseldorfer Architektengemeinschaft Dr. Hentrich-Heuser erneuert. Die reich gegliederten Obergeschosse mit etwas zu hohem Pyramidendach wurden nach Artilleriebeschuß kurz vor Ende des Krieges bis 1949 nach alten Vorlagen wiederaufgebaut. Im übrigen ist der Außenbau der Kirche durch Lisenen und Rundbogenfriese am Chor und in den beiden Obergeschossen des Turmes gegliedert. Besonders hervorgehoben ist der Obergaden des Mittelschiffes durch Rundbogenblenden von verschiedener Breite, auf der Nordseite mit Pilastern, auf der Südseite an den Ecken ebenfalls mit Pilastern, dazwischen aber auf erneuerten Halbsäulen mit Würfelkapitellen aus Basalt. Die Südseite der mittelalterlichen Kirchen war in der Regel reicher ausgestattet als die Nordseite.

Taufaltar

Taufstein aus dem 13. Jahrhundert

 

Die Turmhalle öffnet sich in einem Bogen zum Mittelschiff mit einer farbigen Kassettendecke aus dem 19. Jahrhundert. Ein niedriger Chorbogen ruht auf Vorlagen mit Schmiegenkämpfern in verschiedener Höhe, die mit farbig gefaßten Ornamenten geschmückt sind. Chorhaus und Apsis sind mit wulstigen Rippengewölben gedeckt. Die Scheidmauern des Mittelschiffes ruhen auf drei freistehenden Pfeilerpaaren, im Osten und Westen auf je zwei Pfeilervorlagen mit schlichten Kämpfern und Sockeln. Man könnte sich denken, daß die Scheidmauern des Mittelschiffes erst in späterer Zeit durch die Pfeiler und Scheidbögen aufgelöst wurden, um die Kirche durch Seitenschiffe mit Gratgewölben zwischen Gurtbögen auf Pfeiler- und Wandvorlagen zu erweitern. Ohne genaue Bodenuntersuchungen oder des Mauerwerks der Mittelschiffwände läßt sich das jedoch nicht beweisen.

Es liegt ein schriftliches Zeugnis über eine Altarweihe zu Ehren des hl. Remigius vom 20. August 1223 vor. Vielleicht steht diese Altarweihe in Zusammenhang mit der Erweiterung der vermuteten Saalkirche. Ein veränderter, dreiteiliger Schmtzschrem aus der l. Hälfte des 16. Jahrhunderts mit zwei aus der l. Hälfte des 14. Jahrhunderts stammenden Plastiken des hl. Remigius und des hl. Johannes Ev. wurde 1872 bei der Renovierungder Kirche an die Heiligkreuzkapelle in Wegberg-Kipshoven verkauft. Stand dieser Schnitzschrein einmal auf dem alten Hochaltar aus dem 13. Jahrhundert in Wittlaer ?

Vortragskreuz

Vortragskreuz aus dem 12. Jahrhundert

 

Der ausgewogene Raum wird seit fast 50 Jahren durch die Glasmalereien des niederländischen Künstlers Thorn-Prikker, der als Erneuerer der mittelalterlichen Glasmaltechnik gilt, bestimmt. Auftraggeber war Pfarrer Franz Vaaßen (+ 2. 10. 1944), der wagemutig junge Künstler zur Ausschmückung seines alten Gotteshauses heranzog, -wobei für ihn künstlerische Qualität oberstes Gesetz war. Er beschritt dabei ähnliche Wege wie Pfarrer August Winkelmann in Marienthai bei Wesel. Beide Dorfkirchen standen vor 50 Jahren im Mittelpunkt einer lebhaften Diskussion, wie man mittelalterliche Kirchen durch moderne sakrale Kunst auszuschmücken versuchte. Vor allem die jüngere Generation stand diesem Bemühen positiv gegenüber. Nach dem spektakulären Fall der figürlichen Chorund Querhausfenster in der Dreikönigen-Kirche in Neuss, die 1912 entstanden, hatte Thom-Prikker erst 1925 in Wittlaer wieder einen größeren kirchlichen Auftrag über-nommen. Außer den drei Symbolfenstern in der Apsis handelt es sich um Ornamentfenster in geometrischen Formen, die für Thorn-Prikker charakteristisch sind. Die Fenster entstanden in den Jahren 1925 bis 1927. Die in Wittlaer vorbildlich gelöste Aufgabe verschaffte Thorn-Prikker dann auch den Auftrag für die Verglasung der kunsthistorisch bedeutenden Kirche St. Georg in Köln, die mit im Mittelpunkt der Ausstellung Monumenta Annonis 1975 stand. (Dazu auch der Beitrag: Der Pfarrer unter dem Kreuz.)Die Fenster an der Westseite der Kirche von Wittlaer wurden 1945 zerstört und 1963 durch Glasmalereien von Wilhelm Schmitz- Steinkrüger ersetzt. 1937 entstanden drei figürliche Fenster von Wilhelm Teuwen, einem Schüler von Heinrich Campendonk in der Südsakristei und zwei Symbolfenster von Ewald Matare in der Nordsakristei. Neben der neuzeitlichen künstlerischen Verglasung befinden sich in der Kirche einige Plastiken aus älterer Zeit: Hölzerner Kruzifixus aus dem 15. Jahrhundert über dem Chorbogen, niederrheinisches Vesperbild aus Eichenholz in der Turmhalle aus dem 15. Jahrhundert, heiliger Remigius links vom Chorbogen an der Ostwand aus dem 15. Jahrhundert, sitzende Madonna mit Kind mittelrheinisch, vermutlich aus dem 14. Jahrhundert, farbige Fassung zum Teil erhalten, Sitzbank erneuert, 1972 im Kunsthandel erworben, an der Ostwand, rechts vom Chorbogen, heiliger Sebastian am l. rechten freistehenden Pfeiler aus dem 15. Jahrhundert, am linken freistehenden Pfeiler einefarbig gefaßte Holzplastik, vielleicht Johannes Evangelist aus einer Kreuzigungsgruppe, spätgotisch oder frühbarock. Ein bemerkenswerter schöner Taufstein aus Namurer Blaustem, vielleicht Anfang 13. Jahrhundert. Zu den ältesten Ausstattungsstücken gehört ein Vortragekreuz aus Rotkupfer, Längsbalken abgebrochen, an den Enden übereinander vernietet, wodurch die alte Proportion verlorengegangen ist. Zu den neueren Ausstattungsstücken gehören eine Kreuzigungsgruppe, Tabernakel, Altarkreuz, Kelch und 4 Leuchter von Ewald Matare. Auch einige Tapisserien: Herz Mariens, Herz Jesu, Hungertuch und zwei Antependien von Irene Göttschekes aus Mönchengladbach, einer Schülerin von Jan Thorn-Prikker und Ludwig Gies, verdienen Beachtung. Paramente nach Entwürfen von Ewald Matare, Heinrich Nauen und Jan Thorn-Prikker. Je eine Fahne nach Entwürfen von Ewald Matare (Kirchenchor) und Franz Josef Klemm (Sebastianus-Bruderschaft). Außerdem besitzt die Kirche ein sehr schönes Ölbild mit der Darstellung der Verkündigung an Maria von Heinrich Nauen aus der Zeit um 1935. Eine neue Phase der Renovierung und Ausrichtung auf die Liturgiereform nach dem 2. Vatikanum begann unter Pfarrer Heinrich Stypenz 1969 und wurde zügig unter Pfarrer Hermann Josef Koch seit 1971 fortgesetzt. Die Kirche erhielt einen Schieferfußboden, eine neue Heizungsanlage und einen neuen Anstrich. Die Orgel wurde umgebaut und erhielt anstelle eines sonst üblichen Orgelprospektes ein geschnitztes Gitterwerk nach einem Entwurf von Helmut Moos aus Bensberg und endlich nach langen Überlegungen einen Blockaltar aus spanischem Negro-Marmor mit einem Sepulcrum, das auf der Vorderseite des Stipes mit einem Bronzegitter verschlossen ist. Der Entwurf stammt von dem Bildhauer Hein Gernot aus Köln.

Friedrich Scheiermann