Der Maler Wittlaers und des Niederrheins

Max Clarenbach (1880-1952)

 

 

Vor hundert Jahren wurde Max Clarenbach geboren

Zu der Ausstellung "Max Clarenbach, ein Repräsentant rheinischer Kunst'; vom Landkreis Düsseldorf-Mettmann im Sommer 1969 im Schloß Kalkum veranstaltet, schrieb Marie-Luise Baum den folgenden Beitrag, der hier - leicht gekürzt - als eine gültige und maßgebende Würdigung zum hundertsten Geburtstag des Künstlers (geboren am 19. Mai 1880 in Neuss) neu gedruckt wird. Zum Geleit hatte Ellen Clarenbach damals unter anderem geschrieben: "Schon daß er gleich nach der Jahrhundertwende ins stille Wittlaer zog, schien damals ungewöhnlich.. . Weil Clarenbach ständig in und mit der Natur des Niederrheins leben wollte, ließ er sich hier von seinem Freunde Obricht das Haus bauen, das seinen Vorstellungen vom Schönen und Harmonischen entsprach, inmitten der Felder und der vom Schwarzbach durchzogenen Wiesen. Hier trägt heute der Weg von der Landstraße her an seinem Haus vorüber bis an dessen Ende, wo am Gasthof Brand's Jupp sein Reliefbildnis geschaffen von dem Bildhauer Bernhard Lohf angebracht ist, Clarenbachs Namen. "

Wer das Glück gehabt hat, in Düsseldorf noch einen Zipfel von den reichen 20er Jahren mitzuerleben, der weiß etwas von Atmosphäre. Der Weltkrieg mit seinen Schrecken und den nachfolgenden Kümmernissen lag hinter uns, es meldeten sich kritische und schöpferische Geister; die das uns verbliebene Kulturgut zu retten suchten. Begegnungen im kleinen Kreis, Debattier-Abende und Vorlesungen brachten bedeutende Menschen zusammen: Herbert Eulenberg und seine gescheite Frau Hedda, seinen musikalischen Schwager, Rechtsanwalt Maase, den unvergessenen begabten Dichter Dr. Viktor Meyer-Eckhardt, Luise Dumont, die Unvergessene, die mit ihrem Mann Gustav Lindemann das Düsseldorfer Schauspielhaus begründet hatte, Dr. Anna Siemsen, die beliebte Lehrerin an der Luisenschule (und doch war sie damals schon Kommunistin!), dazu die Maler Artur Kaufmann und Max Clarenbach, von dem wir hier erzählen wollen.

Max Clarenbach, damals ein guter Vierziger, war - wie man heute sagen würde - schon ein arrivierter Maler. Er war in dem Debattierklub, auch wenn es um ernste Dinge ging, das heitere, ausgleichende Element, wie denn überhaupt die Frohnatur, die ihm eigen war, ihn auf allen Wegen seiner menschlichen und künstlerischen Existenz begleitet hat, die ihm überall, wohin er auch ging und was er auch tat, Freunde erwarb. Die ihn gut kannten, sprachen von seinem "unbeschreiblichen Scharm" und nannten ihn "Liebling der Musen". Daß er ein Glückskind war, das ist ihm oft und immer wieder selbst zum Bewußtsein gekommen. Um so schöner und glücklicher ist dieser Lebenslauf, weil am Anfang seines Daseins Not und Armut standen. Seine Kinderjahre in Neuss, wo er am 19. Mai 1880 geboren wurde, waren ernst und traurig. Denn schon frühzeitig verlor er beide Eltern und kam als Vollwaise in das Haus seines Großvaters Koenen, der "am Krahnen" als Hafenmeister wirkte. Schon in der Schule fiel die zeichnerische Begabung des Knaben auf, wenn der kleine Bub mit seinem Malkasten am Ufer der Erft saß und das alte malerische Neuss für sich entdeckte.

Schon mit 13 1/2 Jahren wurde Max Clarenbach in die Düsseldorfer Kunstakademie aufgenommen, gewiß ein ganz seltener Fall. Andreas Achenbach hatte sich für die Aufnahme des jungen Clarenbach eingesetzt, und er hat es nicht bereut. Freilich bleiben Sorge und Not noch lange die Begleiter des jungen Malers; später schreibt er einmal von dieser Zeit: "Vollständig mittellos, arbeitete ich abends bei einem Onkel in einer Kartonfabrik, um mir mein Studium zu verdienen."

Seine ersten Lehrer an der Akademie waren die Professoren Lauenstein und Kampf. Gipsklasse und Antikensaal, beide Gebiete als Vorstufe zur Malerei unentbehrlich, und doch für die meisten jungen Künstler ein dornenvoller Weg, der sie oft am eigenen Können verzagen läßt. Doch gute Geister begleiteten Clarenbachs Weg, schon bald stieg er in die Landschaftsklasse auf, wo Professor Eugen Dücker sein Lehrer wurde. Dücker war es auch, der seine Schüler gern auf die Schönheiten ihrer engeren Heimat, auf den Niederrhein, hinwies. Diese Anregung fiel bei Clarenbach auf fruchtbaren Boden. Das, was er seit seinen Kindertagen in Neuss gesehen hatte: den Hafen, die Schiffe, bekannt und vertraut und doch in jeder Jahreszeit wieder anders: das wurden die Motive für seine ersten Bilder. Und diese ersten Bilder nahm der Düsseldorfer Kunstverein an und stellte sie in der Städtischen Kunsthalle aus. Bald nach der Eröffnung der Ausstellung hatte eins der Bilder schon einen Käufer gefunden: Carmen Sylvia, die musisch und künstlerisch begabte Königin von Rumänien, eine geborene Prinzessin Elisabeth von Wied, hatte Clarenbach auf dem Schloß ihres Bruders in Neuwied kennengelernt und großes Gefallen an dem sympathischen und strebsamen Maler gefunden. Da sie im Begriff war, wieder nach Rumänien zurückzureisen, wollte sie natürlich das Bild gern gleich mitnehmen.

Frau Ellen Clarenbach erzählt hierzu die reizende Anekdote: Clarenbach bat in einer Sitzung des Kunstvereins darum, das Bild schon jetzt vor dem Abschluß der Ausstellung herausnehmen zu dürfen. Darauf habe der Geschäftsführer gesagt: "Was will der junge Mann? Da muß doch schon der Herr Clarenbach selber kommen!" Daß der erst 17jährige der erfolgreiche Maler sein könne, das wollte ihm nicht in den, Kopf.

Vor der Jahrhundertwende malt Clarenbach in Holland, er hat ein Atelier in Vlissingen und hat sich Land und Leute gehörig angesehen. Auch den ersten Herzensroman mag er hier erlebt haben, denn ein holländisches "Meisje" mit Namen Maria Sessee in Antwerpen bekommt nachher Briefe. Nach seiner Rückkehr geht die ernste Arbeit in der Akademie weiter. Bei dem Meisterschüler von Professor Dücker, dem Maler Gustav Wendling, nahm er noch Privatunterricht und fand in ihm einen treuen Berater und Freund. Neben Wendling war auch der Maler Hugo Ungewitter sein Gönner, und als diese beiden, Ungeheuer und Wendling, den Auftrag erhielten, in Kaub am Rhein ein Panorama zu malen: "Blüchers Übergang über den Rhein bei Kaub am 1. Januar 1814", da erbaten sie sich von der Akademie den jungen Kollegen Clarenbach als "Gehilfen" aus, der zum Erstaunen seiner Gönner den Maler Wendling, "diesen virtuosen Geschmackskünstler" (wie Wilhelm Schäfer ihn nennt) fast übertraf. Dieses Panorama, das 1902 auf der Düsseldorfer Industrie- und Gewerbe-Ausstellung gezeigt wurde, war 15 Meter hoch und 120 Meter lang. Leider war nicht festzustellen, ob dieses Panorama noch existiert.

Clarenbach bekam in Kaub den Auftrag, den Schnee, der nach verbürgten historischen Nachrichten an jenem 1. Januar 1814 gelegen haben soll, zu malen. "Den ganzen Winter über", schreibt er in sein Tagebuch, "habe ich nur Schnee gemalt." Manchmal gibt es auch Tauwetter, dann darf er eben einmal nach Neuss reisen, wird aber schleunigst durch Telegramm zurückgerufen, wenn es wieder in Kaub schneit. Nun, er hat dabei eine Menge gelernt, vielleicht stammt sogar seine Vorliebe für die Schneemalerei aus dieser Zeit. Denn tatsächlich wird nun der Schnee sein Lieblingsthema: Schnee, blauweiß leuchtend in grimmiger Kälte, oder in tausend Kristallen glitzernd, wenn die Sonne scheint, im Tauwetter, wenn die weiße Herrlichkeit sich in Schlamm verwandelt. 1902 war Clarenbach erstmalig auf einer großen Ausstellung vertreten: die Düsseldorfer "Deutschnationale Kunstausstellung" zeigte sein Bild "Stiller Tag", das ihm über Nacht frühen Ruhm einbrachte. Dann, 1903, wanderte es nach Wien zur großen Internationalen Kunstausstellung, wo der stille Erftkanal mit den beschneiten Ufern soviel Anerkennung fand, daß man den jungen Maler mit der Großen österreichischen Gold-Medaille auszeichnete, die bisher nur sieben Malern verliehen worden war.

Schon 1901 hatte Clarenbach ein Atelier in Wittlaer gemietet, das vor ihm Professor Kampf innegehabt hatte. Nun erst, da er seßhaft wurde, wird er der "Maler des Niederrheins", der Entdecker immer neuer Einblicke in die Landschaft, die er in allen Stimmungen und Farben in einer Darstellungskraft ohnegleichen malt: Winterbilder mit verschneiten Feldern und kahlen dürren Bäumchen, duftige Vorfrühlingsbilder, reife Sommerlandschaften, herbstliche Motive mit goldenem Sonnenlicht oder regengrau und nebelschwer. Dazu das silbrige, glitzernde Band des Rheins. Kein Wunder, daß das Wort von der "Clarenbach-Stimmung" oft und immer wieder am Rhein zu hören war.

1908 baute der Wiener Baumeister Josef Maria Olbrich, Clarenbach in herzlicher Freundschaft verbunden, ihm, der seit 1904 verheiratet war, ein schönes und apartes Haus auf der Anhöhe vor dem Vorflutgelände des Rheins. Olbrich, damals schon durch seine Bauten auf der Mathildenhöhe in Darmstadt berühmt, war ein eminent begabter Mensch. Friedrich Naumann sagte von ihm im Jahre 1901: "Er muß eine Vielseitigkeit und Schaffensfreude haben, die an einige der besten Italiener erinnert." Und auch die Gegenwart hat Olbrich nicht vergessen: bei den Berliner Festwochen im September 1968 gab es im Hause der Berliner Kunstbibliothek eine Ausstellung "Joseph Maria Olbrich", eine Schau, die von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz veranlaßt war und rund 450 Ausstellungsstücke umfaßte. Kein Wunder also, daß das "Haus Clarenbach" in Wittlaer eine Sehenswürdigkeit wurde, in deren gepflegter Atmosphäre Clarenbach die lange Reihe seiner Gemälde schuf, die auch heute noch in Museen die Mitwelt beglücken könnten, wenn sie nicht in Magazinen ein Dornröschen-Dasein führen müßten.

In dieser Zeit -es ist das Jahr 1908- gewann der französische Impressionismus Einfluß auf die rheinische Malerei. Und sieben junge Düsseldorfer Maler faßten den Entschluß, die Düsseldorfer Kunst im Sinne des französischen Impressionismus zu erneuern. Sie gründeten den "Sonderbund Westdeutscher Kunstfreunde und Künstler". Wilhelm Schäfer, der Begründer und Herausgeber der Zeitschrift "Die Rheinlande", führte den Sonderbund mit folgenden Worten ein:

 

" In der Kunsthalle zu Düsseldorf haben sieben junge Leute gemeinsam mit Professor Olbrich eine Ausstellung gemacht, die der alten Kunst in dieser neuen Stadt ihr Angesicht, das zu lange überm Genick nach hinten sah, sacht und schmerzlos wieder nach vorne drehte. Das eigentliche Wunder aber ist, daß die Bedeutung dieses Vorgangs sofort begriffen wurde und einen Enthusiasmus auslöste, der auch die Eingeweihten überraschen mußte. Da wurde auf einmal eine Kunstausstellung gezeigt, wie sie besser weder in Berlin noch in München dem Nachwuchs möglich ist, die beste Kunstausstellung in Düsseldorf seit einem Menschenalter und ohne Zweifel den Wiedereintritt Düsseldorfs in die Reihe der führenden Kunststädte bedeutend."

Die nächste Sonderbund-Ausstellung fand im Mai und Juni 1909 statt. Der noch erhaltene Ausstellungskatalog nennt außer Gemälden der genannten Gründer des Sonderbundes Werke' von Max Liebermann, Ernst te Peerdt, Christian Rohlfs und von den französischen Impressionisten Cezanne, van Gogh, Monet, Picasso, Renoir, Rodin, Seurat, Signac, Sisley und Vuillard. In der Tat war damit ein neuer und frischer Zug in die konservative Düsseldorfer Kunst gekommen. In der ersten Veröffentlichung, die der Sonderbund herausgab, heißt es, Düsseldorf habe mit der Gründung des Sonderbundes "den lange verlorenen Zusammenhang mit dem lebendigen Kunstwillen der Zeit wiedergefunden."

Auch in den Jahren 1910 und 1911 stellten die Sonderbündler in Düsseldorf aus. Viele Gleichgesinnte waren inzwischen zu ihnen gestoßen: von Krefeld Nauen und Thorn-Prikker, von München Kandinsky und Jawlensky, Purrmann, Erbslöh, Kirchner, Schmidt-Rottluff, kurz alle Maler, die einen Namen hatten und uns Heutigen geläufig und bekannt sind; sie alle wurden schon vor dem Ersten Weltkrieg den rheinischen Kunstfreunden gezeigt. Wer aufgeschlossen genug war, auch Neues gelten zu lassen, konnte sich mit eignen Augen davon überzeugen, daß die Maler in ganz Europa, ganz unabhängig voneinander, zur gleichen Malweise gekommen waren. Und der Erfolg sprach für die Sonderbündler, denn in zeitgenössischen Berichten kann man lesen, daß die Ausstellung von 1911 8850 Besucher gezählt hat und daß für nicht weniger als 390 000 Goldmark Bilder verkauft wurden. Hedda Eulenberg, die dem Düsseldorfer Maler Clarenbach und seinen Freunden besonders nahestand, schreibt von dieser Zeit als von "einem europäischen Ereignis", sie meint, "von der Hochstimmung jener Tage kann man sich heute keine Vorstellung mehr machen. Es schien, als sei die neue Kunst die wichtigste Angelegenheit der Kultur überhaupt."

Trotz dieser Hochstimmung aber gab es einen Rückschlag, als 1911 eine Broschüre erschien, herausgegeben von dem Kunstmaler Carl Vinnen aus Cuxhaven mit dem Titel "Quousque tandem"; die "die unpatriotische Begünstigung französischer Maler", anprangerte und mit großem Stimmaufwand den. "Protest Deutscher Künstler" anmeldete. Auf diesen Protest antworteten Maler, Bildhauer, Kunstkritiker, Museumsdirektoren, Kunsthistoriker und Sammler, kurz alles, was irgendwie mit Kunst zu tun hatte. "Im Kampf um die Kunst" heißt der stattliche Band von 180 Seiten, in dem die Antworten auf Vinnens Anklage gesammelt vorliegen. Auch Max Clarenbach meldete sich auf Vinnens Protest. Seine Antwort möge hier stellvertretend für viele andere Entgegnungen stehen:

 

"Alle großen Eindrücke in der modernen Malerei kamen und kommen von Paris. Ich sehe keinen Grund, uns diese Freude, die man immer wieder vor guter französischer Kunst empfindet, nehmen zu lassen. Wer will uns jungen Deutschen die Lust an aller ernsten und großen Kunst untersagen? Kein Teufel wird mir je meine Begeisterung vorschreiben können kein Mensch mich bestimmen, die starken Empfindungen unserer jungen französischen Kollegen zu übersehen". . .

Aber leider blieb der Schlag doch nicht ohne Folgen: als der Sonderbund 1912 für seine Ausstellung den Kunstpalast haben wollte, lehnte die Stadt Düsseldorf ab. - Die Feinde des "Neuen" und die Neider in den eignen Reihen hatten gesiegt. Schnell entschlossen klopfte man in Köln an und erreichte nicht nur, daß man geeignete Ausstellungsräume am Aachener Tor bekam, auch ein ansehnlicher "Unkostenbeitrag" in Höhe von 25000 Goldmark half den Veranstaltern, der Ausstellung ein würdiges Gepräge zu geben. Die Stadt Köln hatte jedenfalls ihre Chance erkannt, sie machte diese Ausstellung zu einem Ereignis besonderer Art.

Daß diese Ausstellung von 1912 nicht nur für den Sonderbund und für Westdeutschland, sondern für die ganze europäische Kunstwelt ein Ereignis ersten Ranges war, das aus der Kunstgeschichte des Rheinlandes nicht wegzudenken ist, darüber gibt es heute keinen Zweifel. Man muß sich nur einmal vorstellen, was es bedeutete um nur einen Namen zu nennen, daß das Werk von Vincent van Gogh mit 108 Gemälden und 16 Zeichnungen zu sehen war. Heute kann man sie in der Kröller-Müller-Sammlung in Otterlo bei Arnheim besichtigen. Auch der bis dahin wenig bekannte Edvard Munch war mit 31 Gemälden und der Franzose Gauguin mit 21 Bildern vertreten.

Leider bedeutete die Kölner Ausstellung das Ende des auf fünf Jahre geschlossenen Bundes. Weniger sachliche Gründe waren es, die die Auflösung veranlaßten, als kleinliche "persönliche Zänkereien". Der eine und andere fühlte sich benachteiligt, war falsch oder schlecht "gehängt" worden, andere waren nicht zur Teilnahme aufgefordert worden. - Doch, was tat das schon? Das, was der Sonderbund erreichen wollte, die Probleme der zeitgenössischen europäischen Kunst bekannt zu machen, das war erreicht.

Max Clarenbach, der in seinen jungen Jahren lungenkrank gewesen war und eine Zeitlang in Nervi gelebt hat, mußte im Ersten Weltkrieg nicht mit der Waffe dienen. Er arbeitete von 1914 bis 1917 in Krefeld im Lazarett. Jede freie Stunde konnte er seiner Kunst widmen, auch nach seinem Haus in Wittlaer, wo ihm seine Frau inzwischen zwei Töchter (Melitta und Inge) geboren hatte, konnte er häufig sehen. Doch wird es ihn beglückt haben, als ihm eine größere und befriedigendere Arbeit gestellt wurde: Prinz Ludwig von Bayern berief ihn als Kriegsmaler ins Hauptquartier nach Saloniki. Viele Zeichnungen und Ölgemälde geben von dieser anregenden Zeit Kunde. Damals war er schon Professor an der Düsseldorfer Akademie, Nachfolger seines Lehrers Eugen Dücker.

Als 1918 der Krieg zu Ende ging, gab es, wie überall, auch in Düsseldorf noch schwere Unruhen, ehe wieder alles im alten Geleise lief und der Maler Clarenbach sich wieder mit Pinsel und Farbe der niederrheinischen Landschaft widmen konnte. Neben der Landschaft malte er jetzt auch sehr lebendige Sportbilder. Tennisturniere, Pferderennen, Schlittschuhläufer. Max Clarenbach hat sich bei seinen Schülern stets der Beliebtheit erfreut. Immer sah er in den jungen Leuten den strebenden Künstler, deren Individualität er nicht nur achtete, sondern auch zu fördern suchte. Gern zog er mit der jungen Schar hinaus in die Natur, um ihnen die besondere Schönheit des Niederrheins immer wieder nahe zu bringen.

Immer neue Reize, immer neue Schönheiten wußte Clarenbach in der geliebten, Heimatlandschaft zu entdecken. Oft und immer wieder haben die Kunstkritiker von ihm gesagt, daß er es verstünde, zu "lauschen". Nun, zum "Lauschen" gehört "Stille", und uns will scheinen, als sei das das Grundmotiv aller Clarenbach'schen Malerei. Nicht nur von ungefähr haben ja viele seiner Bilder einen Titel, der etwas mit "Stille" zu tun hat. "Stiller Tag", "Winterstille", "Mondnacht", "Abendstern", "Mond über Wittlaer", "Mondaufgang", "Melancholie", so könnte man noch lange fortfahren, um zu zeigen, wie Clarenbach uns in der "Stille" etwas ahnen läßt von dem "wunderbaren, tiefen Schweigen", von dem der Dichter Eichendorff singt, mit dessen liebenswerten Gesellen Clarenbach manches Mal verglichen worden ist. Und der Kritiker hat wohl recht, der Clarenbachs Bilder einmal "stille Gedichte in Weiß und Grau" genannt hat.

Daß Clarenbach auch mit der Radiernadel umzugehen verstand, das beweisen seine vielen noch vorhandenen reizvollen Radierungen. 1923 zog es ihn wieder einmal nach Paris, wo ihm die französischen Impressionisten ja seit der Zeit des Sonderbundes nahestanden. Und sie übten immer noch ihre Wirkung auf sein Malen aus.

1928 kam ein ehrenvoller Auftrag: für das Schiff "Bremen" des Norddeutschen Lloyd sollte er mit August Deusser zusammen dekorative Gemälde schaffen. Die "Bremen" erhielt vier große Gobelins: Frühling, Sommer, Herbst und Winter, die nach den Clarenbach'schen Gemälden in der Gobelin-Manufaktur in Nymphenburg angefertigt worden waren.

Max Liebermann, der Clarenbach in der Zeit des "Sonderbundes" sehr schätzen gelernt hatte, hat einmal von ihm gesagt, daß er "in Dingen des malerischen Geschmacks ein Phänomen" sei. Und wenn man die lange Liste der Auszeichnungen ansieht, die Clarenbach verliehen wurden, dann weiß man schon, daß an Liebermanns Urteil nichts übertrieben ist. Der Großen goldenen Staatsmedaille, die ihm in Wien schon 1903 verliehen wurde, folgten bald andere Auszeichnungen:

Goldene (preußische) Staatsmedaille, Berlin 1905;

Große goldene Medaille Buenos-Aires, 1910;

Medaille von Salzburg;

Olympia-Medaille, Amsterdam 1918;

Medaille des Norddeutschen Lloyd;

Medaille von Barcelona.

 

Aber alle Erfolge konnten Clarenbach nicht in seiner Wesensart verändern, er blieb der feine, bescheidene Mensch, der sich gewiß seiner Erfolge freute, aber auch genau wußte, daß jedes Werk auch für ihn wiederum ein "Wagnis" darstellte.

In allen großen deutschen Galerien und Museen waren damals Bilder von Max Clarenbach zu finden: in Berlin, Hamburg, München, Köln, Elberfeld, Düsseldorf, Darmstadt, Essen, Straßburg u.a.m. Das Carnegie-Institut in Pittsburgh forderte ihn von 1907 bis 1914 alljährlich auf, sich mit einem Bild an seinen Ausstellungen zu beteiligen. In einer anonymen Laudatio auf den jungen Maler Clarenbach (wir konnten mit Hilfe des Essener Stadtarchivs feststellen, daß der Verfasser der damalige Museumsleiter Professor Borchardt ist!) steht sogar zu lesen, daß eins der besten Werke Clarenbachs im Besitz des deutschen Kaisers Wilhelms II. war. Wohin mag es in all den Stürmen verschlagen sein? Und welches Bild mag es gewesen sein? Niemand weiß es.

Clarenbach war ein fröhlicher, geselliger Mensch, sein Witz und seine Schlagfertigkeit waren bekannt. Am Stammtisch im Gasthaus Brand's Jupp kann man heute noch über ihn Schnurren und Anekdoten hören, aber man kann da auch viele Bilder und Graphiken bewundern, die Clarenbach in einer Zeit, als es ihm wirtschaftlich noch nicht allzu gut ging, den Brands geschenkt hat, die dafür rührend und liebevoll für ihren "Professor" gesorgt haben.

Sein fünfzigster Geburtstag wurde ein wahrer Erntetag; was er zahllosen Menschen mit seiner Kunst gegeben hatte, das wurde ihm nun vergolten mit Lob, Anerkennung und Liebe.

Das war im Jahre 1930, also schon in der Vorzeit des Dritten Reichs. Unter diesem Regime behielt Max Clarenbach seine Position als Akademie-Professor; da er nur Künstler und ein unpolitischer Mensch war, suchte er möglichst ungestört seiner Arbeit nachzugehen. Die Aufregungen des Zweiten Weltkrieges setzten ihm jedoch später ungemein zu, er mußte auf ärztliches Anraten für lange Zeit das Sauerland aufsuchen. So malte Clarenbach in den 40er Jahren viel im Sauerland, das er "das malerischste deutsche Mittelgebirge" nannte. Und die Sauerländer wollten ihn nur zu gern als einen der Ihren betrachten. "Unser Professor" sagte man in Alt-Astenberg, das wirklich ein Stückchen "zweite Heimat" für die Clarenbachs geworden ist. Die Sauerland-Bilder sind besonders reizvoll, so z.B. "Winterstille im Sauerland", "Nebelmorgen in Winterberg", "Alt-Astenberg" und viele andere. Zahlreiche "Clarenbachs" zieren heute noch die Gaststube im Gasthof Mörchen.

1945 legt Clarenbach sein Amt an der Kunstakademie, das er seit 1917 innegehabt hatte, nieder. Seine erste Frau war 1937 gestorben. Mit seiner zweiten Frau Ellen Becker, die er 1939 geheiratet hatte, waren ihm noch glückliche Jahre beschieden. Frau Ellen Clarenbach ist auch heute noch die aufmerksame und hingebende Betreuerin des künstlerischen Nachlasses von Max Clarenbach. Er starb am 9. Juli 1952 nach einer Operation in einer Kölner Klinik. Auf dem kleinen Dorffriedhof in Wittlaer fand er seine letzte Ruhestätte. Ein schlichter Findling ziert das Grab, ein befreundeter Bildhauer hat den Namen "Max Clarenbach", wie er ihn selbst ungezählte Male geschrieben hat, mit den Lebensdaten in den Stein hineingeschlagen. Über dem Namenszug befindet sich das Clarenbach'sche Wappen. Sein Heimgang weckte ein vielfältiges Echo in Presse und Kunstzeitschriften. Alle, die ihm nahegestanden hatten, die ihn geliebt und verehrt hatten, wußten, daß ein Freund dahingegangen war, ohne den für sie die Welt ärmer geworden war., Doch mag sich in aller Trauer die tröstliche Gewißheit gesenkt haben, daß Max Clarenbach in und mit seinen Werken weiterleben wird. Nicht von ungefähr schloß einer der zahlreichen Nachrufe auf den verehrten Dahingegangenen mit dem Wort aus dem Gedicht "Erinnerung und Hoffnung" von Karl Förster.

 

 

"Was vergangen, kehrt nicht wieder.

Aber ging es leuchtend nieder,

Leuchtet's lange noch zurück. "

Marie-Luise Baum