Ein Bahnhof vergammelt

Fehlplanung mit nachgeliefertem Sinn

Der Heimat- und Kulturkreis Wittlaer hat es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, Fehlentwicklungen in diesem neuen Düsseldorfer Stadtteil nach Möglichkeit vorzubeugen. Über die Grenzen Düsseldorfs hinaus ist der sogenannte Wittlaerer Hauptbahnhof zu einem Musterbeispiel für Planungen vom grünen Tisch her bekannt geworden. Wir bringen einen Auszug aus einem Artikel von Helmut Möller aus der"Rheinischen Post'; der zeigt, wie einem solchen Baukuriosum von den Verantwortlichen nachträglich noch ein tieferer Sinn gegeben werden soll.

Wittlaer ist mit dem Auto bequem zu erreichen. Es liegt direkt an der Bundesstraße 8. Wer sich der Linie D, die Düsseldorf mit Duisburg verbindet, anvertraut, passiert auf dem Weg zur Idylle eine Grauzone modernen Planer-Geistes. Nachdem die Bahn eine Weile flaches Land durchglitten hat, läuft sie in den "Hauptbahnhof Wittlaer" ein. Aussteigend gewahrt der Fahrgast einen Bahnsteig, der einen mittleren Eisenbahnzug aufnehmen könnte. Immerhin gewährt diese Dimensionierung den repräsentativen Platz für fünf in Längsrichtung angebrachte Ortsschilder. Der vorgeschriebene Weg nötigt den Reisenden dann ins Treppenhaus des einstöckigen Gebäudes. Lustig geht's nur 35 Stufen hinauf in den Aufenthalts- und Schalterraum. Die Stufen bringen alte Leute dazu, abenteuerliche Kletterpartien über den Schotter zu unternehmen. Sie riskieren lieber einen Beinbruch als die alpine Zumutung anzugehen. An Kinderwagen und Rollstühle ist auch nicht gedacht worden; dafür aber an einen Schalter, der niemals benutzt werden wird.

In der Halle finden sich als Ausgleich für künstlerische oder kunstgewerbliche Innenausstattung die Rückstände menschlichen Stoffwechsels, Pfützen und Bierflaschen am Boden. Betritt der Wanderer allein den Bahnhof, und bewegt er sich nicht schnell auf die Treppe zu - dann kann es vorkommen, daß eine einsame Putzfrau ihre Arbeit mißtrauisch unterbricht, bis der "Kerl" sich entfernt hat. Die Wittlaerer Damen umgehen zumindest während der Dunkelheit diese merkwürdige Baulichkeit, fahren bis Kaiserswerth und nehmen von dort ein Taxi. Auch dies ist ein Paradox: Ein Gehäuse, von Menschen meist zum Schutz ins Freie gestellt, birgt, wenn es leer ist, eher die Furcht vor unliebsamen Begegnungen.

Wittlaers Bahnhof, 1975 als aufwendige Haltestelle der geplanten Stadtbahn Rhein-Ruhr in Betrieb genommen, demonstriert als Ding gemeinsame Züge mit dem Menschen. Eine Maschine, die nicht benutzt wird, verrostet, ein unbewohntes Haus verrottet, ein aller Bezüge barer Mensch verkommt. Und so ist es auch kein Wunder, daß sich im modern-maroden Gebäude die Absonderlichen austoben. Fenster werden zerstört, Bänke verbogen, die Deckenbekleidung heruntergerissen. Eine wirksame, aber kaum drastische Kriminalität ist zu vermerken. Sie ist teuer, aber nicht so schwerwiegend, daß die Polizei daraus etwas machen könnte. Und so vergammelt der Bahnhof, weil von der Stadt- und U-Bahn vorläufig noch nicht die Rede sein kann. Denn für diese wurde er mitsamt einem neuen Gleisunterbau für neue schnellere Wagen gebaut. 4,5 Kilometer dieses Gleises haben 30 Millionen Mark gekostet. Sie sind nicht - wie geplant- Versuchsstrecke geworden. Der Bahnhof schlägt mit 2,6 Millionen zu Buch. Für die Unterhaltung werden jährlich - nach Rheinbahnangaben - 20000 Mark aufgewendet. Das alles für einen Einzugsbereich von 4 127 Menschen. Das ist noch grob veranschlagt, weil der Bahnhof für die meisten Bürger Wittlaers viel zu weit ab liegt.

Wittlaers Bahnhof - eine Fehlplanung? Der einzelne danach gefragt, sagt ohne Zögern ja. Behörden und Rheinbahn (die jetzt ihre bewährte Linie D alle halbe Stunde dort halten läßt) sagen mit Zögern nein. Das geschieht allerdings erst nach mehreren Verweisungen an kompetente Kollegen: das Thema ist nicht beliebt. Obwohl das Land Nordrhein-Westfalen damals die Stadt Düsseldorf unter seine Verkehrsplanung gezwungen hat, nimmt sich die Rheinbahn des peinlichen Projekts beredt an. Das Ganze sei keine Fehlplanung. Man solle nur abwarten bis Duisburg den südlichen und Düsseldorfden nördlichen U- und Stadtbahn-Ausbau fertig hätten, dann würde die Strecke attraktiv aktiviert. Von Bus und Taxi-Anbindung ist die Rede und von Reitplätzen. Das sind natürlich Wechsel auf die Zukunft gezogen. Außerdem sind diese Anbindungsideen offensichtlich nachträgliche Sinnkorrekturen. Naturkatastrophen brauchen keine Entschuldigung, solche einer ins Kraut geschossenen Planung schon. Eine offene Diskussion darüber gibt es jedenfalls mit Fachleuten nicht so leicht. So beantwortet ein agiler Planungsingenieur der Rheinbahn die Frage, warum die Bahnsteige so lang seien, mit der Feststellung: das sei Vorschrift.

Wittlaers Haltung zu seinem Bahnhof ist bei allem erstaunlich - sie ist nämlich ablehnend, aber passiv. Ein Lokalpolitiker meint dazu: Man kann zwar alle hier zu negativen Äußerungen bewegen, das ist aber auch alles. Für dieses Ding würde niemand auf die Straße gehen.

Außerdem-was solle man denn machen? In der Tat, das ist eine Frage, die sich durch den Effekt der Gewöhnung fast schon selbst aufgehoben hat.

Es gibt indes Pläne, die noch nicht spruchreif sind. Etwas wird unternommen: offen fällt zum

Beispiel der Begriff Kleingewerbe. Wenn der Bahnhof also nicht wie ein steriler Mastochse von der grünen Wiese geholt werden kann, dann muß man ihm eben das Futter bringen.

Kleingewerbe aber ist nicht im boden- und kostenträchtigen Bungalow-Stil denkbar. Der "Klein"-Unternehmer wird deshalb in die Höhe wollen. Das wiederum verstößt gegen Wittlaers Ortsgeist.

Wenn alles nichts fruchten sollte-das ist dem außenstehenden Betrachter eingefallen-, dann könnte man das Ding, den Über- oder Unbahnhof vielleicht zum Gesamtkunstwerk erklären.

Möglicherweise ist es dann mit der destruktiven Ruhe vorbei. Fans würden Technikern liefern, was diese selbst nicht in der Schublade haben.

 

Helmut Möller